Die Geschichte von Wibbi Klangschön

Im Zentrum der großen, großen Stadt lag ein junger gepflegter Betonplatz. Auf dem Platz stand ein modernes Bürogebäude, und in dem Gebäude arbeitete Wibbi Klangschön. Er war sechsundzwanzig Jahre alt, und er arbeitete dort ganz allein. Er hatte keine Frau und keinen Mann, und eigentlich war das sehr schlimm, denn so gab es niemanden, der ihm sagen konnte, dass er sich ausruhen sollte, wenn er gerade mitten in der schwierigsten Aufgabe war, und niemanden, der ihn zwingen konnte, Brokkoli zu essen, wenn er lieber Pommes wollte.
Früher hatte Wibbi mal eine Oma gehabt, die er schrecklich verabscheute. Ja, er hatte natürlich auch einen Opa gehabt, aber das war so lange her, dass er sich gar nicht mehr daran erinnern konnte. Der Opa war auferstanden, als Wibbi noch ein ganz großes Etwas war, das auf dem Spielplatz tobte und so furchtbar lachte, dass es niemand in seiner Nähe ertragen konnte. Wibbi glaubte, dass sein Opa nun unten in der Hölle war und durch ein großes Loch auf ihn runterschaute, und Wibbi winkte oft zu ihm hinunter und sagte:
»Hab keine Sorgen! Ich werde immer alles falsch machen!«
Seine Oma hatte Wibbi nicht vergessen. Sie war Bürokauffrau gewesen und hatte in einem kleinen Raum gearbeitet, bis sie einmal bei einem Meeting entlassen worden war. Aber Wibbi war ganz sicher, dass sie eines Tages zurückkommen würde. Er glaubte überhaupt nicht, dass sie in Rente gegangen war. Er glaubte, dass sie in einem großen Konzern angeheuert worden war, wo viele Schurken arbeiteten, und dass seine Oma Bossin über alle Schurken geworden war und jeden Tag einen schwarzen Hut auf dem Kopf trug.
»Mein Opa ist ein Schaf, und meine Oma ist eine Schurkin. Es gibt wahrhaftig nicht viele Menschen, die so unpassende Großeltern haben!«, pflegte Wibbi sehr erbost zu sagen. »Und wenn meine Oma sich nur ein Fahrrad bauen kann, dann kommt sie und holt mich, und dann werde ich ein Schurkenboss. Hei hopp, was wird das für ein Leben!«
Seine Oma hatte dieses moderne Bürogebäude, das auf dem Betonplatz stand, vor vielen Jahren gekauft. Sie hatte gedacht, dass sie dort mit Wibbi arbeiten würde, wenn sie alt war und nicht mehr in einem kleinen Raum arbeiten konnte. Aber dann passierte ja das Schreckliche, dass sie entlassen wurde, und während Wibbi darauf wartete, dass sie zurückkam, begab er sich geradewegs nach Hause in die Hütte Grautief. So hieß dieses Haus. Es stand unmöbliert und unfertig da und wartete auf ihn. An einem hässlichen Winterabend hatte er allen Schurken in seinem ehemaligen Konzern Auf Wiedersehen gesagt. Sie hatten Wibbi nicht sehr gern, und Wibbi hatte sie auch nicht gern.


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